Der Wunschbaum


Im Jahre 2010 haben wir begonnen, auf dem Außengelände des heutigen Kiez Zentrums Villa Lützow in Berlin Tiergarten-Süd, einen ca. 2000 qm großen Bereich als Naturgarten zu gestalten und zu pflegen.

Genauso lange begleitet uns unser Maulberbaum, ein Morus nigra, in unseren Augen leider zu nahe am Außenzaun gepflanzt, doch dazu nachher mehr.

Der Maulbeerbaum (Morus alba) stammt ursprünglich aus China, Japan und Korea und gelangte über Spanien, Italien, Frankreich nach Europa. Hintergrund der Einführung war unter anderem der Versuch, selber Seide herstellen zu wollen. Dazu gab es ja bekanntlicherweise auch Versuche in Brandenburg…

Da unser Maulberbaum ein Morus nigra ist, sind wir nicht auf die Idee gekommen, in die Seidenproduktion einzusteigen (die Raupen des Seidenspinners mögen nämlich nur die weiße Sorte), sondern lieben wir ihn vor allem wegen seiner wohlschmeckenden Früchte und seines schönen Wuchses.

Der Nigra kommt übrigens vermutlich aus Vorderasien, vielleicht dem Gebiet des alten Persiens und wird schon seit der Antike am Mittel­meer angebaut und ist dort manchmal auch als verwilderte Form zu finden. Attraktiv machen ihn auch dort seine wohlschmeckenden, durstlöschenden und erfrischenden Früchte.

Auch in der Pflanzenheilkunde findet der Maulbeerbaum Verwendung.Wir ernten und trocknen seine Blätter für unsere Teemischungen, sie lindern Halsschmerzen und helfen bei Angina.

Im alten China wurde die Maulbeerbaume als Bäume des Sonnenaufgangs und der Sonnen-Mutter verehrt.
Bei den Griechen galten sie als Symbol der Klugheit und seine wohlschmeckenden Beeren, die den Menschen köstliche Nahrung darboten, wurden als Götterfrüchte verehrt.

Und es gibt die tragische Liebe von Pyramus und Thisbe in den Metamorphosen von Ovid, wo wir anschaulich erfahren, wie die Früchte ihre blutrote Farbe erhalten haben.
Maulbeerbäume sind nicht nur nützlich, gesund und schön, sondern auch lauschige Schattenspender. Sie haben eine heitere und freundliche Ausstrahlung, fördern die Geselligkeit und sind bestens als Haus-Bäume geeignet. Die Maulbeere ist ein Baum für jeden Tag. Eigentlich. Bescheiden. Freundlich. Die Mutter der Sonne.

Heutzutage gilt der in der Türkei sehr bekannte Maulbeerbaum auch vielen als ein Sinnbild für türkische Einwanderung nach Deutschland: Wie er sind auch die türkeistämmigen Einwanderer der 60er und 70er Jahre in Deutschland heimisch geworden. Sie, ihre Kinder und Enkel sind heute in Deutschland fest verwurzelt. Als ein Teil der Gesellschaft leistet jede*r einzelne von ihnen mit seiner Arbeit, seinem Engagement, seiner Herkunftskultur und den Früchten seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag für das gemeinschaftliche Leben in Deutschland.

Und übrigens: Seit Neuesten wird der Maulbeerbaum von einigen als Klimabaum der Zukunft gehandelt, weil er den veränderten Bedingungen in Zeiten des Kliamwandels ganz gut stand halten kann.

Da unser Maulbeerbaum sehr nah an den Außenzaun zum Bürgersteig hin gepflanzt worden ist, haben wir seit Jahren darauf geachtet, seine unteren Äste regelmäßig zu schneiden. Es gab nämlich Beschwerden darüber, dass der Kehrwagen der Stadtreinigung, der den Bürgersteigt säubert, nicht darunter durchfahren könne. Also haben wir sorgfältig darauf geachtet, dass dies gewährleistet ist.

Was das wunderbare daran ist (war?), dass der Baum so nah am Bürgersteig steht, ging uns erst nach Jahren auf, als der Baum seine ersten Früchte trug:
Jedes Jahr versammelten sich viele Anwohner und auch zufällig vorbeikommende Passanten unter dem Baum, um ihn zu beernten. Menschen aus Syrien, Iran, Türkei, Nord-Mazedonien, China, Griechenland und und und trafen sich unter den Zweigen des Baumes, kamen ins Gespräch, erzählten uns Geschichten aus ihrer Kindheit und strahlten vor allen Dingen eins aus: Freude!

Dieser Baum mit seinen Früchten ist (war?) manchmal lang vergessene Heimat.

Und manch eine Berlinerin kostete zum ersten Mal in ihrem Leben eine Maulbeere.

In einem Jahr erstrahlte unser Marus nigra sogar als Wunschbaum. Mit Wünschen beschriftete Stoffbinden konnten an seine Äste gebunden werden und wer weiß, vielleicht sind einige davon in Erfüllung gegangen.

Dass ich nun über den Maulbeerbaum schreibe, hat einen traurigen Anlass. Mitte Juni diesen Jahres – mitten zur heißen Jahreszeit, mitten zur Erntezeit, wurde der Baum aus uns noch nicht einsichtigen Gründen sehr stark – ich empfinde die Art und Weise, besonders zu dieser Jahreszeit als sehr brutal-, beschnitten.

Der Baum blutet seither aus seinen Wunden und ja, vielen Menschen blutet das Herz.

Beraubt seiner schattenspenden Eigenschaft, geschmälert in seinem charaktervollen Wuchs steht er nun nackt am Zaunesrand, unerreichbar die Früchte für kleine und große Freundinnen.

Ich versuche, seit nunmehr sechs Wochen eine Antwort auf die Frage Warumzu bekommen, bisher hat sich noch niemand aus der zuständigen Verwaltung zu einem persönlichen Gespräch bereit erklärt.

Schmerzlich für mich und alle, die sich in unserem Garten seit 13 Jahren für den Erhalt der Stadtnatur mit Rat und Tat engagieren.

Wer seinen Maulbeerbaum im Sommer oder im Herbst schneidet, sorgt damit dafür, dass dieser langfristig verkommt.

Die Maulbeere ist ein Baum für jeden Tag. Bescheiden. Freundlich. Die Mutter der Sonne. Eigentlich.


3 Kommentare on “Der Wunschbaum”

  1. Margarete Zimmermann sagt:

    Es war wirklich eine sehr brutale Aktion! Ich wohne in der Nachbarschaft/Kluckstraße, hate mich gerade 2 Tage an diesen Bäumen und ihren Früchten erfreut und weitere Passanten darauf hingewiesen – als ich an einem Junimorgen Zeugin diesem ebenso unsinnigen wie brutalen Vorgehen wurde, bei dem auch innerhalb des Garten ohne Sinn und Verstand Äste abgeschlagen wurden.
    Als ich dann von außen versuchte, noch einige Beeren zu pflücken (unter Beachtung des abgesperrten Bereichs) und die Arbeiter, die wild drauflosschlugen, auf meine Anwesenheit hinwies, wurde ich beschimpft und dann behauptete noch einer dieser Akteure, die sicher keinerlei Ahnung von Gartenbau und Baumpflege hatten, diese Beeren seien sehr schädlich und giftig! Ein trauriges, aber auch empörendes Spektakel! Ich hoffe, der Baum erholt sich, und so etwas passiert nie wieder!

    • ele54 sagt:

      Liebe Frau Zimmermann, ja, ich empfinde es auch als eine Aktion ohne Sinn und Verstand, da greift ja noch nicht eimal das sonst so überstrapazierte Argument ‚Verkehrssicherheit‘. Wir hatten leider schon einige Schäden durch den Einsatz des Grünflächenamtes und ich bin diesmal entschlossen, die Angelegenheit bis zu einer befriedigenden Lösng zu klären. Leider habe ich (nach nunmehr 7 Wochen) noch immer keinen Termin des zuständigen Inspektors bekommen, es wird also zäh.
      Dazu kam noch das Verhalten der Angestellten der beauftragten Firma. So dicke, wie sie es schildern, habe ich es nicht abbekommen, aber ich habe die Angelegenheit mit den Kolleg*innen aus dem Kiez Zentrum besprochen und wir haben uns einheitlich dafür ausgesprochen, dass wir Personen gegenüber, die sich derartig verhalten, von unserem Hausrecht Gebrauch machen und sie des Gelände verweisen sollen.
      Und dazu noch die Aussage Ihnen gegenüber, die Beeren wären schädlich und giftig, unglaublich. Das Traurige daran: Wahrscheinlich wissen es diese Gartenbau-Fachkräfte noch nicht einmal anders.
      Wir werden sehen, wie es weitergeht, aber der fröhlichen jährlichen Beerenernte ist jetzt ein Riegel vorgeschoben.
      Herzliche Grüße
      Gabi Koll

      • Margarete Zimmermann sagt:

        Vielen Dank für Ihre Antwort, liebe Frau Koll, und Ihre Absicht, solchen Aktionen künftig einen Riegel vorzuschieben, das war wirklich unmöglich und Ausdruck eines puren Hasses auf die Natur! Das, was Sie dort gemacht und aufgebaut haben, ist sehr wichtig und ein großer Gewinn für den Kiez, ich weiß noch, wie diese Ecke früher aussah!
        Herzliche Grüße
        Margarete Zimmermann


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